Einer der wenigen “Beweise” für Gewalttätigkeiten seitens der Demonstranten am 30.09. in Stuttgart stellt eine Video-Aufnahme einer maskierten Person dar, die mit einer von der Polizei als Pfefferspray angegebenen Flüssigkeit in Richtung eines Polizeibeamten spritzt. Diese Szene wurde sowohl auf der Pressekonferenz der Polizei als auch von der BILD-Ausgabe Stuttgart als eindeutiger Beweis für Gewalttätigkeiten seitens der Demonstranten verwendet.

Mittlerweile mehren sich jedoch die Anzeichen, dass es sich bei diesem “Demonstranten” in Wirklichkeit um einen sogenannten Agent Provocateur handeln könnte – im Folgenden werde ich versuchen, diesen Standpunkt durch einige Argumente zu untermauern, wie auch bereits die Betreiber von stuttgart21.blog.de:

1. Das Szenario

Die Szene, um die es geht,  ist in recht deutlich zu sehen. Eine mit einer Gesichtsmaske vermummte Person drängt sich von hinten durch die Demonstranten, richtet einen Gegenstand in Richtung der Polizei und sprüht eine Flüssigkeit in Richtung Polizei.
Dieses geschieht unmittelbar im Focus einer Polizei-Videokamera. Wie der Bildwinkel als auch die allgemeine Praxis bei Videodokumentation seitens der Polizei belegen, wird diese Kamera von einem Beamten mittels einer Teleskopstange deutlich sichtbar für Jedermann in die Höhe gehalten, um einen besseren Überblick über die Szene zu erhalten.

Auch der angebliche Demonstrant sollte diese Kamera also eigentlich wahrgenommen haben, was ihn jedoch nicht davon abhält, seine Tat auszuführen und der Polizei damit wertvolle Beweise für eine spätere Indentifikation zu liefern – und für eine angebliche Eskalation. Die Kamera, die einen relativ kleinen Bereich filmt, hat ausgerechnet  genau den Punkt im Focus, an dem plötzlich wie aus dem Nichts besagter Vermummter auftaucht. Natürlich kann das angesichts von wohl Dutzenden von Stunden Videomaterial purer Zufall sein – oder auch nicht!

2. Art der Ausführung des Pfeffersprayangriffs

Eine Sache, die mir sofort ins Auge gefallen ist, ist die Art und Weise, wie der Angreifer den Druckbehälter in der Hand hält. Wenn ich eine Spraydose anwende, so bediene ich den Sprühknopf in aller Regel mit dem Zeigefinger. Ich habe im Netz einige Fotos von Herstellern von Reizgasartikeln zusammengesucht, die die Anwendung ebenfalls auf genau diese Art abbilden.

So würden wohl die meisten von uns eine Pfefferspraydose halten.

Der Angreifer im hingegen hält den Druckbehälter fest mit der Faust umschlossen und bedient den Auslöseknopf mit dem Daumen. Dies ist die von der Polizei gelehrte Vorgehensweise, wie sich auf zahlreichen Videos vom 30.9. beobachten lässt, in denen Polizeibeamte Pfefferspray einsetzen. Ausnahmslos wird das Spray mit der Faust fest umschlossen und mit dem Daumen bedient.

Und so hält ein Profi die Spraydose.

So wird es auch in der Ausbildung der Polizei gelehrt – der Grund dafür ist recht einfach: beim allgemein gebräuchlichen Auslösen des Sprühkopfes mit dem Zeigefinger hält man den Druckbehälter eher mit den vorderen Fingergliedern. Dabei ist die Gefahr sehr groß, dass einem ein Angreifer mittels Schlages gegen die ausführende Hand den Behälter einfach aus der Hand schlägt. Durch das Umschließen mit der Faust wird dieses recht zuverlässig vermieden.

3. Cui bono – wem zum Vorteil?

Der Protest gegen Stuttgart21 lebt geradezu von der Gewaltlosigkeit. Nur diese bislang auf allen Veranstaltungen praktizierte Gewaltlosigkeit ermöglicht den Konsens eines breiten Spektrums von Umweltschützern, bürgerlichen und teils sehr konservativen Demonstranten, Schülern, Rentnern, Eltern mit Kindern und Jugendlichen. Würde es zu Gewalttätigkeiten seitens der Demonstranten kommen, wäre dieses breite Bündnis schnell zerschlagen, denn die absolute Mehrzahl der Teilnehmer hätte hierfür sicher kein Verständnis.

Ein wirkungsvoller – weil von einer breiten gesellschaftlichen Schicht getragener – Protest wäre damit wohl sehr schnell beendet.

Wer, frage ich mich, könnte daran ein Interesse haben? Die Demonstranten wohl kaum!

4. Sowas passiert in einem Rechtsstaat nicht?

Verständlich! Die Vorstellung, dass der Staat Beamte oder bezahlte Provokateure einsetzt, um Straftaten zu provozieren oder gar selber zu begehen, ist befremdlich. Und auch in diesem Falle ist es natürlich erst einmal eine These, für die es meines Erachtens zwar einige Anhaltspunkte, aber keinen endgültigen Beweis (oder Gegenbeweis) gibt, solange der Täter nicht identifiziert ist.

Aber gibt es so etwas wirklich nicht? Die wohl bekannteste von staatlicher Stelle inszenierte Straftat ist wohl das sogenannte “Celler Loch”, bei dem Verfassungsschützer und GSG9-Einheiten mittels Sprengstoff ein Loch in die Aussenmauer der JVA Celle sprengten – angeblich mit der Absicht, einen V-Mann in die RAF einzuschleusen. Aber auch auf Demonstrationen gab es in der Vergangenheit Zwischenfälle, bei denen Zivilbeamte verdächtigt wurden, zu Straftaten aufgestachelt zu haben oder gar selber mit Steinen in Richtung von regulären Polizeikräften geworden zu haben – so zum Beispiel bei den G8-Protesten in Heiligendamm.

Auch im Verbotsverfahren gegen die rechte NPD stellte sich während der Verbotsverhandlung vor Gericht heraus, dass Straftaten, die als Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der Nazipartei aufgeführt wurden, zu oft von bezahlten V-Männern des Verfassungsschutzes begangen wurden. Das Verbotsverfahren scheiterte maßgeblich an diesem Umstand.

Agents Provocateurs und V-Männer, die Straftaten begehen, sind also keineswegs ein Hirngespinst von Demonstranten, auch wenn das natürlich noch kein Beleg für den hier vorliegenden Fall ist.

5. Aussagen von Zeugen

Es gibt mittlerweile Stunden von Videomaterial von Zeuginnen und Zeugen des 30.9. auf youtube zu finden, die unisono berichten, dass es keine Gewalt von Seiten der Demonstranten gab. Dabei handelt es sich keinesfalls um Berufsdemonstranten oder Chaoten, sondern oft um Bürger mit zweifelsfrei einwandfreiem Leumund. So beispielsweise der ehemalige Richter am Stuttgarter Landgericht Dieter Reicherter – ein ausführliches Interview mit ihm gibt es hier von flügel.tv.

Auf der Pressekonferenz der “Jugendoffensive gegen Stuttgart 21″ am 8.10. kamen weitere Zeugen zu Wort, die Gewalt seitens der Demonstranten einvernehmlich bestritten. Hierbei kam auch der angebliche Pfeffergasangriff gegen die Polizei zur Sprache, zu dem es hieß, dass es Augenzeugen gäbe, die beobachtet hätten, wie sich der besagte Täter kurz nach dem Angriff durch eine Polizeikette hindurch hinter die Reihen der Polizei zurückgezogen habe.

6. Fazit

Die Anschuldigungen der Polizei stützen sich auf wenige Minuten , welche aus wohl Dutzenden, wenn nicht weit über 100 Stunden Material erstellt wurden. Größtenteils handelt es sich um relativ harmloses Gerangel und Hin- und Hergeschiebe an Polizeiketten. Vereinzelt werden Kastanien (!!!) geworfen, einige “bengalische Feuer” gezündet oder Gegenstände wie Biertische als Hindernisse für die Polizei auf den Weg geworfen.
Bei den meisten Szenen ist klar zu erkennen, dass sie sich während oder nach dem Einsatz von Wasserwerfern abspielen, also zu einem Zeitpunkt, an dem – wie von Veranstaltern und unzähligen Augenzeugen bestätigt – seitens der Polizei bereits eine massive Eskalation betrieben wurde. Die wohl spektakulärste Szene ist aus meiner Sicht tatsächlich der “Pfefferspray-Angriff”, den ja auch die BILD Stuttgart als Symbolbild für angebliche Krawalle benutzte. Wie glaubhaft dieses angesichts der oben genannten Punkte ist, muss wohl jeder für sich entscheiden. Ich für meine Teil habe zumindest erhebliche Zweifel an besagter Szene.

Von verletzten oder gar schwer verletzten Polizeibeamten habe ich bis zum jetzigen Zeitpunkt nichts vernommen, was einerseits erfreulich, andererseits verwunderlich ist, wenn man dieses mit der Situation von Demonstrationen vergleicht, bei denen es tatsächlich in der Vergangenheit zu Gewalttätigkeiten kam. Nicht nur aus meiner Sicht rechtfertigen die von der Polizei präsentierten Szenen eindeutig nicht den massiven Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten. Vielmehr entsteht für mich der Eindruck, als habe man hier fieberhaft in situationsentstellender Form wahllos Material zusammengeschnitten, um im Nachhinein einen völlig fehlgeschlagenen Polizeieinsatz zu rechtfertigen, indem man eine gewalttätige Demonstration “herbeiphantasiert”.

63 Kommentare bis “Stuttgart 21: Agent Provocateur im Einsatz?”

  1. [...] Weiterlesen hier: Stuttgart 21: Agent Provocateur im Einsatz? https://kopperschlaeger.net/2010/10/stuttgart21-agent-provocateur-im-einsatz/ [...]

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  2. [...] andere und ich oft vor Provokateuren unter den Demonstranten gewarnt (pdf), die der Regierung in die Hände [...]

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  3. Michael sagt:

    Zu diesem Thema passt auch das Video im Bildzeitungsblock zu Gorleben. Ein schwarz Vermummter mit rosa oder pinkem Handbeutel steht allein und exklusiv vor der Kamera und wirft einen Molotowcocktail auf ein Räumfahrzeug der Polizei. Er trägt deutlich sichtbar die gleichen Lederhandschuhe wie die Polizeieinsatzkräfte.Ein Feuerlöscher ist gleich zur Hand obwohl der sich regelmäßig im Inneren des Fahrzeugs befindet und keine Türe aufgeht? Außer ein bisschen Lackschaden und bunte Bilder erreicht er nichts. Aber vielleicht war’s das gerade? Nur eine geistige Energiespaarlampe läuft mit so einem auffälligen Handbeutel durch den Wald. Wenn die Scene nicht gestellt war, wo sind dann die Fotos und Videos von anderen Kameraleuten aus anderen Perspektiven. Und wo ist der Abgang des Täters? Auch hinter die Polizeilinien?

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  4. War dabei sagt:

    Also ich hab denn Sprayer nicht gesehen, aber war meistens mit vorne dabei.
    Was mir bei der ganzen Sache noch auffällt.
    1. Wir reden hier von der schwarzen Truppe namens BFE (Beweissicherungs und Festnahme Einheit) Deren Spezialität ist es, genau so einen Täter aus einer Gruppe Menschen herauszuholen und zu verhaften. Einsatz von Pfefferspray gegen Polizisten gilt als Körperverletzung und nicht als Faschingsscherz. Keiner der BFE rührt auch nur einen Finger nacht der “Tat”.
    2. Das Video endet schnell nach dem Sprühen. Warum?
    3. Warum wird blöderweise der Zeitstempel entfernt? Ach ja, wegen ermittlingstechnischer Überlegungen. Aber kurz darauf wird die Ermittlung gegen den Sprayer eingestellt. Hallo? Körperverletzung. Habt ihr den auf den ganzen Kameras nicht mehr gefunden? Oder etwa doch hinter den eigenen Reihen ;-)

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  5. Pi sagt:

    “1. Das Szenario

    Die Szene, um die es geht, ist in diesem Video recht deutlich zu sehen.”

    Rate mal was da erscheint?
    Das Video wurde vom Nutzer entfernt.

    Dazu meine Frage: Wer war der Nutzer?

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    • kopperschlaegerdotnet sagt:

      Danke für den Hinweis!

      Für uns leider auch nicht mehr nachvollziehbar – wir haben das gelöschte Video mittlerweile durch eine andere Fundstelle ersetzt – Link sollte also wieder funktionieren. Mal schauen, wie lange die bestehen bleibt ;-)

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