Weniger “Hartz IV” soll Jugendliche zur Arbeit zwingen
Es ist immer wieder erstaunlich: ausgerechnet die, die uns rund um die Uhr von der Freiheit des Marktes predigen, die uns ohne Unterlass erklären, Angebot und Nachfrage würden schon alles regeln, schreien immer wieder nach staatlicher Regulierung, wenn es um ihre eigenen Pfründe geht. So auch jetzt einmal wieder BVMW-Präsident Mario Ohoven uns sein Kollege und INSM-Lautsprecher vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) Holger Schäfer.
“Viele junge Erwachsene kassieren lieber staatliche Stütze, als arbeiten zu gehen. Deshalb dürfen die Hartz-IV-Sätze nicht höher sein als der Anfangslohn für einen Azubi.” fordert Mario Ohoven, sein werter Kollege tönt, zur Not müsse jeder jugendliche Antragsteller sofort in einen Ein-Euro-Job vermittelt werden, denn die Erfahrung zeige, dass dies dazu führe, dass viele Jugendliche ihren Antrag auf “Stütze” dann zurück ziehen.
.
.
Liebe “Experten”: Wie war das denn noch gleich mit dem “keine Ahnung haben” und lieber mal “die Schnauze halten”? Es steht Euch doch frei, Eure Ausbildungsplätze attraktiver zu machen, als Hartz IV es angeblich ist. Denn seltsamer Weise haben Unternehmen, die attraktive und fair entlohnte Ausbildungsplätze anbieten, selten Probleme, diese zu besetzen, sondern ersticken in der Regel fast in Bewerbungen. Auszubildende sind keine billigen Hilfskräfte, sondern Euer Kapital von morgen – also ist es auch an Euch, für adäquate und fair entlohnte Ausbildung zu sorgen. Davon ab solltet Ihr vielleicht einmal Eure Ansprüche etwas herunter schrauben, denn wenn ich in der Zeitung lese, dass heutzutage für einen “KFZ-Mechatroniker” oftmals Abitur gefordert wird, frage ich mich ernsthaft, wo denn noch Euer Teil der Ausbildung liegt. Davon ab ist die Forderung nach einer Senkung von “Hartz IV” auch aus anderem Grunde nichts als billiger Populismus, denn wenn man sich die durchschnittlichen Ausbildungsvergütungen im ersten Ausbildungsjahr mal so anschaut, gibt es heute eigentlich keine Auszubildenden mehr, die im ersten Jahr weniger als den Regelsatz von 374 Euro monatlich in der Lohntüte haben.
Und auch das dümmliche Gesäusel vom “Zurichten mittels Ein-Euro-Job” dokumentiert vortrefflich den billigen Populismus und die grauenhafte Ahnungslosigkeit dieser selbst ernannten “Mittelstands-Experten”, denn keine Gruppe innerhalb der Erwerbslosen ist einem höheren Druck durch die Arbeitsverwaltung ausgesetzt als die der sogenannten “U25″ – also der Erwerbslosen, die jünger als 25 Jahre sind. “Arbeitsverweigerung” wird in dieser Gruppe schon seit Jahren mit der sofortigen 100-prozentigen Streichung der Leistungen sanktioniert, so dass diese Jugendlichen de facto schon jetzt überhaupt keine Wahl haben, sich für oder gegen eine angebotene Ausbildungsstelle zu entscheiden. Und die von euch tollen “Experten” festgestellte hohe Sanktionsquote gerade in dieser Gruppe der Erwerbslosen belegt ja wohl recht eindrucksvoll, dass die JobCenter in der Regel auch keine Sekunde zögern, vermeintlichen “Arbeitsverweigerern” die Unterstützung gnadenlos zu versagen.
Aber egal! Hauptsache, mal wieder sinnfrei und populistisch ins bereit gehaltene Diktiergerät der BILD gebissen und den eigenen Namen als Interessenvertreter der mittelständischen Wirtschaft ins Gespräch gebracht. Das Schrottblatt will schließlich täglich gefüllt werden, und was eignet sich da besser als Schrott!?
.
Nachtrag: Ich möchte unseren Leser_innen auch folgenden Kommentar zur Lektüre ans Herz legen
Der Hartz-IV-Strafvollzug: Die Verschärfung der Sozialhaft heißt Sanktion von Uli Gellermann