Verbrechen gegen Kinder lassen gerne die Emotionen hochkochen und den Verstand aussetzen.  So auch im Fall der ermordeten Lena aus Emden. Noch am vergangenen Dienstag, als die Festnahme eines Tatverdächtigen bekannt wurde, versammelte sich vor dem Emdener Polizeirevier eine Menschenmenge, aus der heraus Parolen skandiert wurden, die laut Polizei nur als “Aufruf zur Lynchjustiz” gewertet werden konnten.

Auch in den “sozialen Netzwerken” spielte sich Ähnliches ab: “Er war`s – er war`s”-Rufe waren noch das Harmloseste, Rufe nach der Todesstrafe fand man unter nahezu jedem verlinkten Artikel mit Themenbezug und es mangelte natürlich auch nicht an KommentatorInnen, die dem 17-jährigen Tatverdächtigen die Genitalien mit allerlei stumpfem Gerät abschneiden oder ihn auf mannigfaltige Weise zu Tode foltern wollten. Das Volk der Hobby-Scharfrichter hatte sein Urteil gefällt und forderte nun die sofortige Vollstreckung! Auch die Medien ließen keinen Zweifel an der Täterschaft des 17-jährigen Verdächtigen, auch wenn die ein oder andere Redaktion zumindest in einem Nebensatz einfließen ließ, dass sowohl Tatbeweis als auch Geständnis bislang ausstünden.

Heute nunmehr teilen Staatsanwaltschaft und Polizei überraschend mit, dass der Verdacht gegen den vermeintlichen Täter sich nicht bestätigt habe und seine Täterschaft auszuschließen sei. Der 17-jährige wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft aus der Untersuchungshaft entlassen. Er wird, wie verlogen umschrieben wird, weiterhin von der Polizei “betreut” – richtiger dürfte wohl die Bezeichnung “Polizeischutz” sein, da wohl nicht auszuschließen ist, dass der von Medien und Hobbyscharfrichtern angefeuerte Mob trotz des Ausschlusses der Täterschaft zur angekündigten Lynchsause schreiten könnte.

Auf Facebook zumindest habe ich von den “Lyncht-ihn-Schreiern” noch keine Entschuldigungen gegenüber dem zu Unrecht Bedrohten und Verurteilten entdecken können, der – hätten die Maulhelden der Hobbyrichterschar Gelegenheit gehabt – wohl mittlerweile nicht mehr unter den Lebenden weilen würde. Dass unter den HobbyrichterInnen und Todesstrafe-Krakelern auch solche zu finden sind, die in ihren Profilen für Amnesty International werben, für mehr “direkte Demokratie” streiten oder sich anderweitig als “Hüter von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit” aufspielen, ist da nur ein weiteres betrübliches Detail, welches die Verrohung dieser zunehmend unmenschlich werdenden Gesellschaft unterstreicht.

Den Angehörigen und FreundInnen der kleinen Lena wünschen wir, dass die Tat schnellstmöglich aufgeklärt und gesühnt wird – und dass sie Mitgefühl und aufrichtige Anteilnahme anstelle von Hobbyscharfrichterei in ihrem Umfeld erfahren!

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Die Polizei Emden und die Staatsanwaltschaft Aurich bitten die Bevölkerung im Mordfall Lena um Mithilfe. Zeugen oder Personen, die Hinweise zu dem Verbrechen haben, sind aufgerufen, sich unter der Nummer 0491/97690-414 beziehungsweise 411 bei der Polizei zu melden.

Quellen: WeserKurier und Süddeutsche Zeitung

7 Kommentare bis “Liebe Lynchmob-Fans und Hobby-Scharfrichter!”

  1. [...] Dumme, ein Gedanke: Lynchmob Bewerten: Teilen Sie dies mit:FacebookTwitterE-MailGefällt mir:Gefällt mirSei der Erste, dem [...]

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  2. Das Volk der Hobby-Scharfrichter. Nicht nur Nazis fordern gern den kurzen Prozess und die Todesst… | Klemmeisen sagt:

    [...] Liebe Lynchmob-Fans und Hobby-Scharfrichter! » kopperschlaeger.net [...]

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  3. harzpeter sagt:

    Ich bin mal so dreist und verweise, weil´s zum Thema so gut passt, auf einen Blogbeitrag von mir vom Dezember 2011:

    http://www.von-unten-betrachtet.blogspot.de/2011/12/zu-was-reierische-medien-menschen.html

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  4. Sven Samesch sagt:

    Das Internet, und in dem Fall Facebook, ist nur ein Katalysator der Gedanken und Meinungen der Menschen oder sollte man sagen menschlicher Abgründe. Ohne Internet könnte zwar nicht jeder seine Meinung jedem zugänglich machen, aber die meisten Leute hätten dennoch keine andere Meinung und wie die Erfahrung lehrt beharren sie oft lange mit dieser Meinung, obwohl schon das Gegenteil bewiesen ist. Hexenjagden im ausklingenden Mittelalter haben so funktioniert und hallen bis heute nach. Aus dem selben Grund hat die Franzößische Revolution so einen blutigen Verlauf genommen und es ist ebenfalls der Grund für die Entstehung des dritten Reiches.

    Man hat es hier mit einem Massenphänomen zu tun, dem nur schwer beizukommen ist. Aber man sollte es dennoch versuchen, mit Bildung, Aufklärung und Selbstreflexion.

    VG Sven

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  5. El Huto sagt:

    Emotionsaufgeladene Reaktionen auf schreckliche Verbrechen führen leider häufig auch zum sprichwörtlichen “Rufmord” an Unschuldigen. Da mag man sich ernsthaft fragen, ob denn all diese wutbürgerlichen Hobbyscharfrichter und Lynchmobfans mit ihren emotionalen Abwehr-, Ekel- und Vergeltungsreflexen auch nur im Ansatz wirkliches Interesse an einer korrekten Aufarbeitung haben… von den “seriösen” Medien mal ganz zu schweigen

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  6. Julia Richter sagt:

    Du hast das sehr schön auf den Punkt gebracht. Ich konnte auch nicht verstehen, wie man so voreingenommen reagieren konnte, zumal es sich um den zuletzt festgenommenen Tatverdächtigen um einen Jugendlichen handelte. Diese Auge-um-Auge-Mentalität erhält Einzug in die meisten deutschen Haushalte, wie es scheint.

    Als ich die Meldungen las, dass ein Lynchmob das Polizeirevier belagert, hatte ich plötzlich ein Bild vor Augen:

    Mist- und Heugabeln, Fackeln und aufgewühlte Dorfbewohner.

    Demnächst werden wir Verdächtige und Verurteilte wegen kleiner Vergehen wohl wieder teeren, federn und aus der Stadt jagen.

    …und sowas nennt sich “zivilisiert”.

    Gruß, Julia

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  7. Tja, lieber Frank,

    vorverurteilen scheint für viele Menschen einfacher zu sein, als erst zu DENKEN und sich danach ein EIGENES Urteil zu bilden.

    “Inkompetente ziehen nicht nur irrige Schlüsse – ihre Unfähigkeit beraubt sie auch der Möglichkeit, das überhaupt wahrzunehmen.” (Justin Kruger, David Dunning – beide in Fachkreisen hoch anerkannte Sozialpsychologen)

    LG, Dieter

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