Schlimmer als befürchtet ergeht es dem untersten Segment des Arbeitsmarktes; das Minijobwunder, das in alle Gazetten ausgelassen als Aufbruch zu einer beinahen Vollbeschäftigung gefeiert wird, von der aber lediglich wenige Beschäftigte leben können, macht auch vor ehemals einträglichen Sparten nicht Halt. Hierzu gibt der ehemalige Finanzminister beunruhigende Einblicke.
Überbezahlt habe Steinbrück sich nicht gefühlt, als er damals Minister war. Eine Sieben-Tage-Woche habe er gestemmt, bis zu neunzig Stunden die Woche musste er malochen – das ergebe einen Stundensatz von fünfunddreißig oder vierzig Euro. Wenn er da in die Sportbranche schaue oder in die Kunst oder in die Medienanstalten: da würde viel üppiger bezahlt. Lassen wir mal das Heer an Sportlern und Künstlern beiseite, das für Hungerlöhne radelt, läuft, schreibt oder singt – gemessen an jenen Zweigen verdient ein Minister wahrlich bescheidener. Man könnte aber auch anders messen; die Meßskala geht ja nicht ausschließlich nach oben, man könnte auch hinabschielen.
Anhand Steinbrücks Gejammer auf obersten Niveau, macht sich die Abgehobenheit der politischen Kaste kenntlich. Hierzulande arbeiten Menschen für fünf oder sechs Euro in der Stunde – extreme Beispiele künden sogar von drei oder vier Euro. Die gesamte Misere eines solchen Hungerlohns wird einem gewahr, wenn man denen lauscht, die sich für dieses Butterbrot plagen und zu allem Überdruss auch noch darüber stöhnen, dass sie in der Woche nur vierzig, vielleicht fünfundvierzig Stunden arbeiten dürften – Scheißtarifvertrag!, vernimmt man dann konsterniert. Sie hätten gerne eine solche Sieben-Tage- oder Neunzig-Stunden-Woche, über die sich Steinbrück beklagt – nicht, weil sie mit Vorliebe schwitzten oder sich mühten: sie hätten so einen Galeerendienst deshalb gerne, damit sich ein passables Einkommen läpperte.
Natürlich berücksichtigt Steinbrück nicht, was in den Abgründen des Arbeitsmarktes zur alltäglichen Depression gerät. Er galt stets als ausgemachter Repräsentant der bürgerlichen Mitte; sein schnodderiger Hamburger Charme wirkte immer ein wenig wie der Anmut eines Mitgliedes der Hamburger Nobilität, wie das berechnende Naturell eines hanseatischen Syndikus’. Steinbrücks Beliebtheit ist darauf zurückzuführen, dass er wie der ordinäre Biedermann aus der bürgerlichen Mitte und dem bürgerlichen Mittelmaß riecht. Und als solch exponierte Gestalt, ist er qua seiner gesellschaftlichen Verortung dazu verpflichtet, notorisch unzufrieden zu sein, sich als vollumfänglich verarscht und ausgebeutet wahrzunehmen – vorallem dann, wenn es zum Klagen keinen berechtigten Grund gibt; und auch traurigere Beispiele, Leiharbeiterschicksale und so weiter, dürfen die alte Leier vom Verarschtwerden der bürgerlichen Leitungsträger selbstverständlich nicht aufhalten.
Deshalb entblödet er sich nicht, sein Ministergehalt und seine unerwähnten Pensionsansprüche als eine Art Skandal der Demokratie aufzubereiten, als Einzug einer Niedriglöhnermentalität in die hohen Häuser dieser Republik. Wir haben es hier mit einer Dekadenz zu tun, die Managergehälter nicht gesetzlich deckeln will, damit sie sich an diesen ausbordenden Summen orientieren kann – nach unten, dort wo für wenig Geld viel und schwer gebuckelt wird, da blickt einer wie Steinbrück nicht hinab; in diese Bredouille wird er ja nie kommen. Auch diese Ignoranz im Bezug auf Unterschichten ist eine übliche Verhaltensweise des Bürgertums und daher dem kecken Peer auch nicht fremd.
Neidisch nach oben schielen und nach unten die Bodenhaftung endgültig verlieren: das ist die Befindlichkeit der hiesigen politischen Schichten, die ein Minijobwunder bejubeln, das keine vollwertigen Arbeitsplätze, sondern beinahe nur Prekärstellen schafft, von denen keiner ohne staatliche Aufstockung leben kann – und in dieses Klima künstlicher Zuversicht platzen sie mit ihren Gejammer von Unterbezahlung in die Journaille. Zur gleichen Zeit, einige Etagen tiefer, bekommt der Bau oder der Einzelhandel oder die Industrie das Prekärwunder zu spüren: lange Probezeiten, Temporärverträge, Leiharbeit, schlechte Bezahlung – aber Steinbrück ist es, der sich unterbezahlt und ausgebeutet wähnt…
Tja so langsam zeigt sich, zu was die AGENDA 2010 gedacht war.
Ich kann nur sagen: Gas-Prom-Schröder, warum warst Du eigentlich bei der SPD (früher Arbeiter-Partei).
Immer mehr H4-Empfänger werden zum Mindestlohn eingestellt !
Die Arbeitgeber zahlen nur die Differenz:
Mindestlohn – H4
Den Rest zahlt der Steuerzahler !!!
Dämmerts wo es hingeht mit dem arbeitenden Volk ?!
Da bin ich aber froh, nur so wenig Überfluß in meinem Haushalt berechnen zu müssen…
Käme ich beim Millionen jonglieren doch so arg durcheinander, wie der arme Peer und hätte damit keinen Zugang zur Realität mehr…
Ein übersichtliches Minimum und so bequem: ich brauche mir kaum Kopf machen ums Geldausgeben, ist doch schnell gemacht mit den paar Kröten.
Immer das Gemeckere um´s Essen – wenn ich Hunger habe, trinke ich einen Liter aus der Leitung und schwupps: Hunger weg!
Das Schönste daran ist ja auch: ich bin drahtig-superschlank, sehe dabei affengeil aus!
Bitte hackt doch nicht auf diesen hilfebedürftigen Politikern rum: die wissen das mit dem Wasser-Trick doch nicht und meinen es mit sich doch nur gut…
Kauft keine Bild mehr und ihr lebt gesund!
Barbara Hattenhauer
Bis zu “Kauft keine Bild mehr” stimmen wir uneingeschränkt zu – beim Rest würden wir dann doch eher sagen: “Kommt ganz drauf an!”
[...] This post was mentioned on Twitter by R L , nerdpatrol and Der Maschinist, Frank Kopperschläger. Frank Kopperschläger said: Niedriglohnsektor ufert aus: Von Roberto J. De Lapuente Schlimmer als befürchtet ergeht es dem untersten Segment d… http://bit.ly/bDywgU [...]
Ergänzend zu Steinbrücks Gejammer auf obersten Niveau :
Ein Buch, 29 Vorträge und einige Hunderttausend Euro: Die Nebeneinkünfte des Peer Steinbrück
Angesichts von 29 Honorar-Vorträgen sowie seiner publizistischen Tätigkeit als Buchautor ist die Frage geboten, ob im Fall Steinbrück tatsächlich noch die Rede davon sein kann, dass hier jemand einer Nebentätigkeit nachgeht. Zumal darunter die Haupttätigkeit zu leiden scheint: Seit Dezember 2009 fehlte Peer Steinbrück bei zwölf von 19 wichtigen Bundestagsabstimmungen. Während er 29 Vorträge gegen Honorar hielt, sprach er in dieser Wahlperiode noch kein einziges Mal zu den Bürgerinnen und Bürgern vom Rednerpult des Deutschen Bundestags. Und dass Steinbrück im Parlament fehlt und am gleichen Tag als Referent in privater Mission unterwegs ist, ist auch kein Einzelfall: Neben seiner Abwesenheit bei der Sitzung vom 23. April wegen seines Auftritts beim Finanzsymposium in Mannheim wird Steinbrück auch bei der Haushaltsdebatte am 21. Januar 2010 vom Plenarprotokoll als entschuldigt – also fehlend – geführt (pdf). An dem Tag sprach er als Gastredner bei einer „exklusiven Abendveranstaltung“ auf der „Trend und Service Messe EK Live“ in Bielefeld (pdf).
Quelle: Abgeordnetenwatch
http://blog.abgeordnetenwatch.de/2010/08/17/ein-buch-29-vortrage-und-einige-hunderttausend-euro-die-nebeneinkunfte-des-peer-steinbruck/
Ich bin arg dafür, tragische Schicksale wie das unseres Peers durch öffentliche Bedürfnissanstalten aufzufangen. Mir kämen da spontan Hummersuppenküchen, kostenloser Champagnerausschank oder Berechtigungsscheine für Kavia-Portionen in den Sinn. Vielleicht ließe sich das ganze auch durch eine Chip-Karte elektronisch lösen.
Klingt recht vernünftig – würde das ganze die “Tafelbewegung” doch insgesamt aufwerten.