Seit Tagen schon beschäftigen wieder einmal “Terrorpakete”, welche angeblich von al-Qaida aus dem Jemen verschickt wurden, die Medienlandschaft. Die knallharte Recherche, die beispielsweise Spiegel Online seinen Lesern dazu bietet, wäre wohl bestens geeignet, Steine zu erweichen – oder zumindest jeden halbwegs intelligenten Leser zum Weinen zu bringen – mit Journalismus hingegen hat das Geschriebene leider wieder einmal recht wenig zu tun.

So orakelt SpOn beispielsweise unter Berufung auf einen amerikanischen Sender, welcher sich wiederum auf einen ungenannten hochrangigen Beamten beruft, welcher wiederum mit Leuten Kontakt hat, welche mit dem Fall beschäftigt seien, dass es bereits Mitte September einen “Testlauf” mit Paketen aus dem Jemen gegeben habe.

“Haushaltsgüter, eine Computer-CD und religiöse Literatur: Diese Artikel soll das Terrornetzwerk Mitte September in einem Testlauf vom Jemen an eine Adresse in Chicago gesandt haben. (…) Die Terroristen hätten wohl erfahren wollen, ob es Probleme geben würde, die Fracht durch das Sicherheitssystem zu bekommen und wie lange die Sendung unterwegs sein würde.”

Klar, das entbehrt natürlich nicht einer gewissen Logik, liebe SpOn-Redaktion. Wenn man handelsübliche Haushaltsgüter durch den Zoll bekommt, dann bekommt man aber auch wirklich alles andere durch. Genauso könnte ich allerdings behaupten, dass das Nichtreagieren eines Drogenspürhundes auf ein in meinem Gepäck verborgenen Stück Seife an der holländischen Grenze ein Beleg dafür sei, auf diesem Wege garantiert unentdeckt Drogen ins Land schmuggeln zu können.
Eure Behauptung jedenfalls, dass Nitropenta (PETN) - also der in den Paketen gefundene Sprengstoff – durch Spürhunde nicht aufspürbar sei, ist zumindest selbst nach kürzester Recherche schlichtweg als Schwachsinn zu identifizieren und gehört allenfalls in den Bereich journalistisch gewollter Legenden (Link 1: SprengstoffspürhundeLink 2: Special DogsLink 3: Handelsblatt)

Um solch offensichtlichen Mangel an seriöser Recherche zu verdecken, kommt – ganz wichtig – an dieser Stelle wieder einmal der vielbemühte sogenannte “Terrorexperte” ins Spiel, der dem Geschreibsel der SpOn-Redaktion die nötige Glaubwürdigkeit und Dramatik einhauchen soll:

“Ein solche Trockenübung ist immer wichtig für al-Qaida”, zitiert ABC den Experten Dick Clarke, einen früheren Anti-Terror-Mitarbeiter im Weißen Haus. “In diesem Fall wollten sie die Pakete verfolgen (ein Service, den die Frachtversender online anbieten, die Red.), um genau zu wissen, wann sie einen bestimmten Punkt erreichen.” So hätten sie ermitteln wollen, “wie die Zeitzünder eingestellt werden müssen, damit sie an der richtigen Stelle explodieren – vermutlich war das über Chicago.”

Aha, liebe SpOn-Redaktion! Die Terroristen wollten also anhand des Sendungsverfolgungssystems (Tracking) des Paketdienstleisters die Zeitzünder ihrer Bomben so einstellen, dass selbige direkt über Chicago explodieren. Sehen wir einmal davon ab, dass es wohl einen klitzekleinen Unterschied machen dürfte, ob ich nun – wie oben erwähnt – Haushaltsartikel und religiöse Schriften oder aber eben hochexplosive Sprengstoffe auf den Weg nach Chicago schicke (eure Lüge der Nichtaufspürbarkeit von Nitropenta wurde ja bereits widerlegt), sollte Euch eigentlich spätestens an dieser Stelle aufgefallen sein, dass Ihr mehr als nur im Trüben fischt.

Wer schon einmal eine aufgegebene Sendung per Tracking des Versenders verfolgt hat, weiß eigentlich recht genau, dass es keinesfalls möglich ist, die genaue geografische Position seiner Sendung zu ermitteln. Lediglich kann man feststellen, ob das Paket noch im Versendezentrum am Aufgabeort weilt, derzeit auf dem Weg in das nächste auf der Route gelegene Frachtzentrum ist, sich in der Auslieferung am Zielort befindet oder aber bereits zugestellt wurde. Ob der Paketwagen allerdings mehrere Stunden auf der A3 oder in Chicagos Innenstadt im Stau steht – oder aber das Frachtflugzeug wegen schlechter Sicht zwei Stunden später startete und wegen ungünstiger Gegenwinde auf der Strecke über den Atlantik noch einmal eine Stunde Zeit verliert, lässt sich anhand des Trackingsystems keinesfalls feststellen. Es ist also schlichtweg hanebüchener Unsinn, Zeitzünder anhand von Trackingdaten aus “Probesendungen” zielgenau einstellen zu wollen, um sie an einem ganz bestimmten Ort zur Zündung zu bringen. Erst recht, wenn das Zeitfenster – wie im Eurem Szenario der Sprengung über Chicago – so eng bemessen ist, dass allenfalls ein Spielraum von wenigen Minuten bleibt.

Da verwundert es dann auch nicht weiter, dass in einem weiteren Bericht aus Eurem Hause auf einmal überhaupt keine Rede mehr von Zeitzündern ist, die eben noch ein wichtiger Bestandteil des gesamten Szenarios waren, sondern Ihr nunmehr munter über mittels Handy fernzuzündende Bomben berichtet. Dass auch in dieser Variante Trackingdaten des Paketzustellers wenig hilfreich sind, weil eben keine exakten Positionsangaben abrufbar sind, die ja auch in dieser Variante extrem wichtig wären, um ein Flugzeug exakt über dem Luftraum von Chicago zu sprengen, stört da nicht weiter.

Auch, dass das Adressieren einer Sendung aus dem Jemen ausgerechnet an eine nicht näher genannte “jüdische Organisation” geradezu danach schreit, dass die Behörden die Sendung genauer unter die Lupe nehmen, sollte eigentlich auffallen. Wieso sollte jemand einen Drucker oder Druckerpatronen (die Berichte variieren ja) im Jemen ordern, wo man diese in Chicago an jeder Strassenecke nachgeschmissen bekommt. Und wieso adressiert jemand ein Paket, dass angeblich im Luftraum über Chicago explodieren soll, nicht einfach an eine wesentlich unauffälligere Adresse aus dem Telefonbuch von Chicago, die nicht gleich den Verdacht jedes halbwegs aufmerksamen Sicherheitsbeamten erregen muss?

Alles in allem kann ich mich irgendwie des Eindrucks nicht erwehren, dass die Details und die unzähligen offenen Fragen im Zusammenhang mit diesem Vorfall SpOn relativ egal sind. Hauptsache, man hat wieder ein schmissiges Thema, welches man mit Spekulationen, unsinnigen Statements von “Sicherheitsexperten” und allerlei Unfug tagelang am Kochen halten kann, um die Leser irgendwie zu beschäftigen. Und Terror in Verbindung mit Moslems ist ja eh das Lieblingsthema des Spiegels, da stören Details und kritische Fragen wohl eher – Hauptsache, die Quote mit der Angst boomt …

6 Kommentare bis “Das journalistische Geschäft mit dem Terror”

  1. Aufgelesen 17 | Sven Büchler sagt:

    [...] Das journalistische Geschäft mit dem Terror Dieser Artikel wurde am 7. November 2010 (Sonntag) um 23:35 Uhr geschriebenund ist abgelegt [...]

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  2. Impi sagt:

    Eine Perle im Diskurs ist auch der Vorschlag des CDU-Innenministers von Niedersachsen, Uwe Schünemann, nun die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, um bei Bedarf Frachtflugzeuge abschießen zu dürfen.

    Siehe auch:
    http://lebenuniversumrest.blogspot.com/2010/11/runter-kommen-sie-immer.html

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  3. jörn sagt:

    Parfumfläschen in Fluggepäck entdeckt: Innenminister deMacke alarmiert und fordert bessere Überwachung von Flughäfen, Bürgern und privater Paketzusteller. Das Paket nach Gorleben ist nach seiner Überzeugung hingegen völlig harmlos und wird durchgewunken.
    Grundsätzlich werden händeringend neue Terroristen und Hirngespinnste dringend gesucht und eingearbeitet.
    Bewerbung @ BMI Berlin

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  4. Tweets that mention Das journalistische Geschäft mit dem Terror » kopperschlaeger.net -- Topsy.com sagt:

    [...] This post was mentioned on Twitter by Micha Misanthrop, tralafiti, Harry Holdenwagen, Der Maschinist, Frank Kopperschläger and others. Frank Kopperschläger said: Das journalistische Geschäft mit dem Terror http://bit.ly/aSFKQR [...]

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  5. Mike sagt:

    Ich würde einen Schritt weitergehen: Es ist mehr als nur ein Geschäft. Verdienen ließe sich auch mit gutem Journalismus Geld, viel Geld. Aber die Medien sind instrumentalisiert, der lange Arm der Politik geworden. Die Verblödung ist nicht nur lukrativ, sie hat System und Intention. Immer neue Gesetzesinitiativen, immer weitere Erweichung der Grundgesetze, immer neue Einschnitte für den Bürger, immer neue Kosten, die der Bürger zu tragen hat, all das braucht Vorbereitung und Vorbearbeitung durch die Firmen, die früher als Journalistenschmieden bekannt waren, einen guten Ruf bis heute genießen, obwohl sie heute nurmehr vorgekaute Agenturmeldungen nachplappern oder sich gar direkt im Kanzleramt sagen lassen, was sie schreiben dürfen und was nicht – wie ja mehrmals bekannt geworden ist.

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  6. Martin sagt:

    Tja, Qualitätsjournalismus, sage nur, Qualitätsjournalismus…

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